Wenn sich alles ändert, lohnt es, genau hinzusehen.

„Die Digitalisierung wird alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft verändern.“ Diesen Satz lesen und hören wir seit Jahren und deshalb ist es eigentlich der schlechteste Satz, um das erste Editorial unseres Online-Magazins zu beginnen. Aber wenn wir ehrlich mit uns sind, dann lesen oder hören wir ihn vermutlich schon gar nicht mehr bewusst, sondern hoffen, dass ihm möglichst bald etwas Neues folgt. Eine neue Facette oder Perspektive auf diese allgegenwärtige Digitalisierung. Denn irgendwie ist dieser Satz doch schon so etwas wie eine „olle Kamelle“ – tausendfach gehört oder gelesen, nie wirklich widersprochen, inzwischen vielfach belegt und irgendwie als Mantra der Digitalisierung in unser Gehirn eingesickert. Ich denke aber, dass es sich lohnt, diesem Satz mit seinem fundamentalen Anspruch noch einmal ein paar Minuten und weiterführende Gedanken zu widmen. Zumal oder gerade zum Launch des ersten monothematischen Magazins zur Corporate Digital Responsibility.

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Denn wenn etwas alle Lebensbereiche einer Gesellschaft verändert, dann sollten wir – also die Gesellschaft – verdammt genau hinsehen und hinhören, wer diese Veränderungen maßgeblich prägt, welche Ziele – offensichtliche und weniger offensichtliche – verfolgt werden und mit welchem Denken und Handeln leitenden Menschen- und Gesellschaftsbild die Veränderungen gestaltet werden.

Wenn man Antworten auf diese Fragen zu den weitreichenden und teilweise sehr fundamentalen Veränderungen der Digitalisierung sucht, kommt man rasch auch zu der Frage, wer im Prozess der Digitalisierung eigentlich Verantwortung trägt oder tragen sollte. Verantwortung dafür, dass die Ergebnisse und Folgen der Digitalisierung – oder besser der vielen zeitgleichen Digitalisierungen – aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive vor allem positiv – also eine Verbesserung gegenüber dem Status-quo – sind. Und zwar für möglichst viele, wenn nicht alle. Dabei geht es nicht um den ersten Effekt, sondern auch um die Konsequenzen zweiter und dritte Ordnung – um die Folgeeffekte. Es geht also darum, eine nachhaltige Digitalisierung zu gestalten.

Seit Jahren hilft mir beim thematischen Einstieg eine ganz einfache Grafik, um die Komplexität der digitalen Verantwortungen ein wenig „abzuschichten“, damit man sich nicht zu schnell in den vielen Interdependenzen verheddert.

Diese Grafik unterteilt die digitale Verantwortung in vier Teilverantwortungen, so dass man sich jeder differenziert nähern kann.

Der Begriff Digital Responsibility bzw. Verantwortung in der digitalen Gesellschaft, umschreibt den Beitrag von Unternehmen, Privatpersonen, öffentlichen und staatlichen sowie supranationalen Institutionen zu einer nachhaltig verantwortungsvollen Digitalisierung, die über gesetzliche Regulierungen und Normen hinausgeht.

Da die treibenden Kräfte der Digitalisierung – wenigstens in vielen westlichen Nationen – innovative Akteure der Privatwirtschaft sind, vielfach gefördert und unterstützt durch eine wirtschaftspolitisch engagierte nationale Industriepolitik, widmen wir uns in unserem Online-Magazin der Corporate Digital Responsibility – kurz CDR.

Unsere zentrale Annahme ist, dass es noch kein einheitliches Verständnis gibt, was unter einer CDR verstanden werden soll. Wir befinden uns noch in der „Kampfzone der Ideen“. Es gibt noch kein zwingendes „besser oder schlecht“, sondern nur ein „anders“. Was gut und wirksam ist, muss sich erst noch anhand von Kriterien erweisen, die noch zu entwickeln sind.

Diesen Prozess wollen wir als erstes monothematisches Magazin unter dem Dach der Initiative D21 begleiten. Wir wollen kritisch beobachten, wie Unternehmen in Deutschland, Europa und weltweit mit ihrer CDR umgehen und welche Erwartungen Nutzer und Politik an Unternehmen formulieren werden. Wir wollen Impulse der Wissenschaft aufzeigen und öffentlichen Dialogen zuhören, um dazu beizutragen, dass möglichst viele Unternehmen möglichst schnell ihren Weg der verantwortungsvollen Digitalisierung finden und beschreiten. Wir werden aufmerksam hinsehen, wo CDR sich in Prozessen, Produkten und Services widerspiegelt und wo es zur Marketingbotschaft reduziert wird, für „whitewashing“ wollen wir keinen Raum geben.

Unser redaktioneller Leitgedanke ist, dass der Dialog und Diskurs über die Gestaltung einer Corporate Digital Responsibility als Unternehmensverantwortung in der digitalen Gesellschaft eine neue Qualität der Auseinandersetzung erfordert. Die bekannten Muster der Gestaltung der Unternehmensverantwortung sind durch viele hundert Jahre verantwortungsvollen Unternehmertums geprägt. Diese Denk- und Verhaltensweisen wurden in den letzten Jahrzehnten detailliert und in vielfältigen Modellen kodifiziert. Sie entstanden aber in einer Zeit, in der die Betrachtung „klassischer“ – also an physischen Gütern orientierten – Produktions- und Wertschöpfungsprozesse und ihre lokalen und globalen Verflechtungen im Vordergrund stand.“

Die Digitalisierung sprengt nun unter dem Oberbegriff der digitalen Disruption oder in Form der semantisch etwas abgeschwächteren digitalen Transformation in vielen Fällen die Logik dieser klassischen Produktions- und Wertschöpfungsprozesse. In den allermeisten Fällen führt sie dazu, dass etablierte Marktmechanismen und Wettbewerbsstrukturen in Frage gestellt werden. Eine dominante Marktposition wird dabei oft – fast schon beiläufig – zum erklärten Unternehmensziel und am (Risiko-)Kapitalmarkt honoriert. Global agierende marktbeherrschende Unternehmen sind die anerkannten Benchmarks. Die neuen (Erfolgs-)Muster, wie „monopolize your business“ sind primär im US-amerikanischen Wirtschaftsraum geprägt, in den zentralstaatliche Strukturen Asiens adaptiert und in Europa (vorschnell) als Leitmodell akzeptiert worden. Sie fordern die etablierten und gesellschaftlich akzeptierten Prinzipien und damit das gleichermaßen erfolgsorientierte, aber auch verantwortungsvolle Unternehmenshandeln in zahlreichen Volkswirtschaften heraus, in denen die Konzentration von Marktmacht kritisch gesehen wird.

Aus (Markt-)Macht erwächst Verantwortung – wie sie von Unternehmen an- und wahrgenommen wird, wollen wir beobachten, hinterfragen und damit mitgestalten.

Wir haben uns vorgenommen, (nur) so lange Wegbegleiter der Corporate Digital Responsibility zu sein, bis sich ein erprobtes, etabliertes und für Unternehmen individualisierbares Verständnis herausgebildet hat und die CDR mit all ihren – heute noch neuen – Besonderheiten ein unverzichtbarer Teil einer Corporate Responsibility geworden ist.

Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, dieses Publikationsprojekt in der D21 Wirklichkeit werden zu lassen. Ich danke der Bertelsmann Stiftung und mc-quadrat, die das Vorhaben durch ihre Unterstützung initial ermöglicht haben. Wir hatten in den letzten Monaten viele Fürsprecherinnen und Fürsprecher, besonders hervorheben möchte ich Lena-Sophie Müller und ihr Team in der Geschäftsstelle der Initiative D21 und meine Mitglieder im Vorstand – sie alle haben mit Rat und oft auch mit viel Tat dazu beigetragen, dass wir nun starten können.

Ihnen als LeserInnen danke ich für Ihre thematische Neugier und freue mich sehr auf den Austausch zur Corporate Digital Responsibility.

Ihr

Jens-Rainer Jänig

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Jens-Rainer Jänig

Jens-Rainer Jänig ist Diplom-Ökonom und geschäftsführender Gesellschaftler der von ihm 1997 gegründeten Markenagentur und Kommunikationsberatung mc-quadrat in Berlin. mc-quadrat berät branchenübergreifend namhafte Firmen zur Marken- und Unternehmenskommunikation. mc-quadrat ist Mitglied der Initiative D21 Gründungsunternehmen des Charta digitale Vernetzung e.V. und Teil des Unternehmensnetzwerks Berlin Partner.