CDR in der Wissenschaft: Drei ForscherInnen geben Auskunft

Der Begriff "Corporate Digital Responsibility" besteht aus drei Wörtern, die jeweils - bei einzelner Betrachtung - unterschiedliche inhaltliche Gebiete anschneiden: Unternehmen-, Digital- und Verantwortungsperspektive bieten Anknüpfungspunkte für viele Forschungsbereiche und so bezieht sich die existierende Forschung nicht nur auf die Einbettung und Ausprägung von CDR in Unternehmen oder die operativen sowie strategischen Maßnahmen. Vielmehr gibt es eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit CDR in der Wissenschaft.

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Das Thema „Corporate Digital Responsibility“ kann durchaus als immer populärer in der Wissenschaft bezeichnet werden. So hat beispielsweise auch der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre (VHB) gemeinsam mit dem Sachverständigenrat für Verbraucherfragen Ende Januar 2020 zu einem CDR-Forum eingeladen, um das Thema in der wissenschaftlichen Diskussion zu beleuchten (Erfahrungsberichte VHB bzw. SVR).

Neben der BWL befassen sich auch andere Fachrichtungen zunehmend mit dem Thema. Dies spiegelt die Interdisziplinarität des Themas wider. Nicht nur die Untersuchungsebenen unterscheiden sich (Individuum, Organisationen, Gesellschaft, technische Akteure), auch die Betrachtungsweisen (z.B. CDR als Reaktion auf die Folgen der Digitalisierung, als Möglichkeit Nutzen für Unternehmen, Individuen und Gesellschaft zu stiften).

Die drei WissenschaftlerInnen haben uns aus der Perspektive ihrer Forschungsbereiche drei Fragen beantwortet:

Wie sind Sie auf den Forschungsbereich aufmerksam geworden?

Die WissenschaftlerInnen sehen aktuell in ihren Forschungsthematiken vielfältige Berührungspunkte mit CDR: neben Aufklärung und Kompetenzen für Unternehmen und damit einhergehender tatsächlicher Umsetzung von Fragestellungen rund um Verantwortung im Prozess der Digitalisierung, ist die Perspektive der Gesellschaft sowie die Rolle der politischen Regulierung relevant.

Für Prof. Dr. Heckmann steht eine „gemeinwohlorientierte Digitalisierung“ im Vordergrund seiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Recht und Sicherheit der Digitalisierung. Damit einher geht sowohl die Verantwortung für die Folgen der Digitalisierung für die Akteursgruppen „Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“, aber auch die Rücksichtnahme auf Interessen Anderer. „Unternehmen haben die Chance, ertragreiche Geschäftsmodelle zu entwickeln, tragen dann aber auch die Verantwortung, sowohl die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch Kunden und Geschäftspartner in ihren berechtigten Interessen mitzunehmen. Gerade weil die Folgen der Digitalisierung komplex und kompliziert sind, bedarf es viel Überzeugungskraft und Kompetenzerwerb. Dies ist auch eine Aufgabe der Wissenschaft“, so Prof. Dr. Heckmann.

Prof. Dr. Lobschats Aufmerksamkeit ist durch die direkte Forschungskooperation mit Unternehmen in den Themenfeldern „Digital Marketing“ und „Marketing Attribution“ auf CDR gelenkt worden: „Hierbei habe ich aus erster Hand erfahren, in welchem Zwiespalt sich Unternehmen befinden, wenn es um den Umgang mit Konsumentendaten geht: Auf der einen Seite bieten diese Daten viele wertstiftende Möglichkeiten, unter anderem das entsprechende Produkt- oder Serviceangebote auf Kundenbedürfnisse zu zuschneiden und den Kunden gezielter anzusprechen. Auf der anderen Seite steht der mögliche Vertrauensverlust des Kunden durch den potenziell zu starken Eingriff in dessen Privatsphäre.“ Auf Basis ihrer bisherigen Forschung zum Thema und dem Austausch auf Konferenzen mit anderen WissenschaftlerInnen, leitet sie das Ziel ab, nicht nur Erkenntnisse zu CDR für Unternehmen, sondern auch für KonsumentInnen und Politik durch die Forschung zu generieren.

Die tatsächliche Umsetzung von Prinzipien wie Gerechtigkeit, Demokratie und gegenseitigem Respekt in der Gesellschaft überträgt Prof. Dr. Herzog in ihrer Forschung unter anderem auf die Arbeitswelt und die dort stattfindenden Veränderungen durch die Digitalisierung. Prof. Dr. Herzog beleuchtet daher mit einer philosophischen Forschungsperspektive diese Prozesse und sagt: „Das wirft die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen, aber auch nach politischem Regulierungsbedarf und dem gesellschaftlichen Umgang mit diesen neuen Technologien auf.“

Wie ist Ihre Einschätzung der gegenwärtigen Entwicklung der Forschung zu CDR/Digitale Unternehmensverantwortung in Deutschland, Europa bzw. international?

Alle drei ForscherInnen betonen, dass dem Thema derzeit viel Beachtung entgegengebracht wird und es erste nationale als auch internationale Veröffentlichungen gibt. Prof. Dr. Lobschat betont, dass es sehr unterschiedliche Schwerpunkte in den verschiedenen Disziplinen gibt:

Im Bereich Marketing liegt der Fokus deutlich auf Fragestellungen rund um das Thema „Data Privacy“, die meist aus Kundensicht und auf einer sehr operativen Ebene beantwortet werden […]  In anderen Bereichen, wie bspw. der Forschung zu Information Systems, werden ethische Fragestellungen besonders im Kontext einer philosophischen Diskussion bearbeitet (z.B. die Frage der Schuld, wenn ein selbstfahrendes Auto einen Unfall verursacht)“. Sie hebt jedoch auch hervor, dass es im Hinblick auf Handlungsempfehlungen bisher zu wenig Forschung gibt und daher neben der konzeptionellen Forschung nun auch ein stärkerer Fokus auf einer empirischen Auseinandersetzung liegen müsse.  Vor dem Hintergrund nennt Prof. Dr. Heckmann etwa das Zentrum Digitalisierung Bayern, das CDR als Leitthema der Plattform „Verbraucherbelange“ aufgegriffen hat.

Prof. Dr. Herzog sagt dazu: „In der Forschungslandschaft passiert viel, die Frage ist, was dann auch umgesetzt wird, sei es auf Ebene von Unternehmen oder auf Ebene der Politik.“ Als Beispiel nennt sie etwa Lösungsansätze aus der Wissenschaft, wie Diskriminierung aufgrund von Algorithmen verhindert werden kann im Umfeld von Recruiting-Prozessen.

Wo sehen Sie in Ihrem Forschungsbereich (und Anknüpfungspunkten) derzeit die spannendsten Fragestellungen?

Naturgemäß unterscheiden sich die Fragestellungen sehr anhand der drei Fachrichtungen der WissenschaftlerInnen und variieren dementsprechend auch bezogen auf die Ziel-Ebenen:

So steht für Prof. Dr. Herzog, Philosophin und Sozialwissenschaftlerin, als eine Zielsetzung im Vordergrund zu verhindern, dass „Spaltung und Fragmentierung der Gesellschaft“ durch Digitalisierung verhindert wird, da sie darin eine Gefahr für die Demokratie sieht.

Prof. Dr. Heckmann fokussiert sich in seiner Forschung unter anderem darauf, Parameter zu entwickeln, um Geschäftsmodelle unter rechtlichen und ethischen Aspekten reflektieren zu können. Dabei bezieht er sich auch auf die Ergebnisse der Datenethik-Kommission sowie auf die Pläne der EU, diese zu normieren. „Daran anknüpfend gilt es zu erforschen, wie man Geschäftsmodelle so entwickeln kann, dass sie sowohl rechtlichen als auch ethischen Maßstäben genügen und die Privatsphäre des Einzelnen nicht übermäßig einschränken. Es genügt sicher nicht, lediglich „Leitlinien“ für CDR zu entwickeln und die Geschäftsmodelle nicht zu überdenken.“

Datenethikkommission

Die Datenethik-Kommission wurde 2018 von der Bundesregierung mit der Aufgabenstellung berufen, technische, ethische, rechtliche oder gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Aspekten der Digitalisierung zu eruieren. Dies erfolgt auf Basis von formulierten Leitfragen der Bundesregierung. Weiterführende Informationen dazu können hier eingesehen werden.

Die Messung von CDR sieht Prof. Dr. Lobschat als entscheidende Grundlage, um in Unternehmen CDR sichtbar zu machen und entsprechende Auswirkungen für die Unternehmen offenzulegen (z.B. den Zusammenhang von CDR mit dem Unternehmenserfolg oder mit der Kundenloyalität). Für Unternehmen sei dies wichtig, um etwa Budget-Diskussionen zu CDR zu führen.

Marie Blachetta

Seit dem 1. Januar 2020 hat Marie Blachetta die Position der Redaktionsleitung für das neue Online-Magazin zum Thema „Corporate Digital Responsibility“ bei der Initiative D21 inne.