Wie kam es zu der Idee des Booksprints und die daraus hervorgegangene Publikation „Unternehmensverantwortung im digitalen Wandel – Ein Debattenbeitrag zu Corporate Digital Responsibility“? Wie kamen Sie mit dem Partner WZGE zusammen?
Das Programm „Unternehmen in der Gesellschaft“ der Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Als Mitglied des CSR-Forums der Bundesregierung waren wir seinerzeit beteiligt an der Entwicklung der deutschen CSR-Strategie. Unsere Arbeit leitet die Überzeugung, dass Unternehmen Verantwortung tragen für die Auswirkungen ihrer Unternehmenstätigkeit auf die Gesellschaft. Nun ist uns allen klar, dass die Digitalisierung die Art und Weise wie wir leben und arbeiten werden, radikal verändert. Unternehmen treiben diese Entwicklung mit neuen, digitalen Geschäftsmodellen und dem Einsatz digitaler Technologien zur effizienteren Gestaltung ihrer Betriebsabläufe. Damit stellt sich auch die Frage: Welche Verantwortung tragen Unternehmen im digitalen Zeitalter? Um uns einer Antwort zu nähern, haben wir interessierte Autor*innen eingeladen, ihre Ideen, praktischen und theoriegeleiteten Sichtweisen zur digitalen Unternehmensverantwortung zu teilen. Wir wollen damit den Stand der Debatte um Corporate Digital Responsibility mit seinen unterschiedlichen und vielfältigen Facetten erfassen und in Unternehmen, Gesellschaft und Politik einbringen. Da wir bereits seit Jahren mit dem WZGE zur gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung erfolgreich zusammenarbeiten, hat es sich natürlich angeboten, das Thema gemeinsam weiterzuentwickeln.
Eine der Zielstellungen des Booksprints ist es, die CDR-Landschaft zu kartieren. Welche Erkenntnisse fanden Sie dabei besonders bedeutsam? Welche übergeordneten Charakteristika konnten Sie ausmachen?
Der öffentliche Aufruf zu dem Booksprint war bewusst breit angelegt. Wir tendieren in Wissenschaft und Praxis ja oft dazu, uns in unseren jeweiligen Disziplinen oder Filterbubbles zu bewegen. Gerade Themen wie der digitale Wandel oder künstliche Intelligenz wurden lange aus einer Technikperspektive betrachtet und diskutiert. Der Booksprint erlaubt nun einen Perspektivenwechsel hin zu einer systemischen Betrachtung dieser Themen. Viele Beiträge beschäftigen sich in dieser Hinsicht mit der Frage, wie wir die digitale Transformation als Gesellschaft gestalten wollen und welche Anforderungen wir hierbei an Unternehmen stellen – hier geht es um ethische Fragestellungen, gemeinsam geteilte Werte oder um Fragen der Compliance. Interessant ist auch, dass sich die Beiträge aus dem lange vorherrschenden Gefahrennarrativ lösen und eine chancenorientierte Betrachtung des digitalen Wandels in den Fokus stellen. So können digitale Technologien der Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung sein.
Auf Basis der Inhalte des Booksprints und Ihrer langjährigen Expertise: Wie sehen Sie die inhaltliche Verbindung der CDR zur Corporate Social Responsibility (CSR)?
Wir führen die Debatte um Art und Umfang der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ja schon seit einiger Zeit. Da Unternehmen mit ihrem Handeln maßgeblichen Einfluss auf die ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung unserer Gesellschaft haben, tragen sie als gesellschaftliche Akteure somit auch Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns. Diese Verantwortung leitet sich nicht nur aus dem vom Staat gesetzten regulativen Rahmen ab (Legalität), sondern auch aus den geteilten Werten und Erwartungen aller gesellschaftlichen Anspruchsgruppen (Legitimität). Die den Unternehmen zugeschriebene Verantwortung kann dabei nicht statisch sein, sondern immer ein Spiegel der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen. So definiert die EU-Kommission CSR als die „Verantwortung von Unternehmen auf ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“. Negative Externalitäten sollen vermieden und positive Effekte erreicht werden, die zum Gemeinwohl beitragen. Unter der Prämisse, dass die Digitalisierung unsere Gesellschaft grundlegend verändert, muss das klassische CSR-Verständnis, das sich vor allem auf die soziale, ökologische und ökonomische Dimension der Unternehmensverantwortung bezieht, im Verständnis der Definition der EU-Kommission um die digitale Dimension der Unternehmensverantwortung ergänzt und im Sinne eines holistischen Verantwortungsbegriffs weiterentwickelt werden.
Auf der Basis von internationalen Vereinbarungen haben sich in den vergangenen Jahren eine Reihe von Instrumenten entwickelt, um CSR in der unternehmerischen Praxis zu operationalisieren, zu evaluieren oder zu regulieren. Analog wird sich auch für CDR ein geteilter Kanon internationaler Prinzipien und Richtlinien herausbilden, der die zentralen Handlungsfelder der digitalen unternehmerischen Verantwortung definiert und operationalisiert. Ansätze hierfür sind bereits erkennbar z.B. in der EU-Datenschutzgrundverordnung, dem Weißbuch der EU-Kommission zur künstlichen Intelligenz oder den Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Gestaltung der Zukunft der Arbeit.
Zur Publikation:
Unter dem Titel „Unternehmensverantwortung im digitalen Wandel – Ein Debattenbeitrag zu Corporate Digital Responsibility“ erscheint der Sammelband der Bertelsmann Stiftung und es WZGE zu dem die Herausgeber sagen „Die Digitalisierung verändert unsere Wirtschaft und die Gesellschaft grundlegend. Unternehmen sind hierbei zentrale Akteure: Sie treiben die digitale Transformation voran und sind zugleich selbst getrieben, sich dem digitalen Wandel mit neuen Geschäftsmodellen anzupassen. Welche Verantwortung leitet sich daraus ab? Müssen wir unser bisheriges Verständnis einer Corporate Social Responsibility um die Dimension einer Corporate Digital Responsibility erweitern? Welche gesellschaftlich geteilten Werte und Überzeugungen sollen darin zum Ausdruck kommen? Wir haben interessierte Autor*innen eingeladen, ihre Ideen sowie ihre praktischen und theoriegeleiteten Sichtweisen zur digitalen Unternehmensverantwortung zu teilen. Damit wollen wir den Stand der Debatte um Corporate Digital Responsibility mit seinen unterschiedlichen und vielfältigen Facetten erfassen und in Unternehmen, Gesellschaft und Politik einbringen.“
Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen: Welche Aspekte von „Corporate Digital Responsibility“ werden in den nächsten zwei Jahren im Fokus stehen? Und welche Bereiche sollten noch mehr im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, die bislang kaum thematisiert wurden?
Datenschutz und Datensicherheit, die faire Gestaltung algorithmischer Systeme und der Einsatz Künstlicher Intelligenz sind die wesentlichen Handlungsfelder in der inhaltlichen Auseinandersetzung um Unternehmensverantwortung im digitalen Wandel. Aber durch die Corona-Krise verändert sich die Arbeitswelt in einem Tempo, das wir uns nicht haben vorstellen können. Corona wirkt als Katalysator für die digitale Transformation in den Unternehmen. Damit verbunden rückt die Frage in den Vordergrund, wie wir die digitale Arbeitswelt der Zukunft gestalten wollen. Wie soll Plattformarbeit so gestaltet werden, dass sie den Bedürfnissen der dort Beschäftigten als auch ihrer sozialen Absicherung gerecht wird? Wie qualifizieren wir die Beschäftigten für die Anforderungen digitaler Geschäftsmodelle? Was heißt Vereinbarkeit von Arbeits- und Lebenswelt, wenn wir zunehmend digitaler und mobiler arbeiten? Unternehmen tragen hier Verantwortung, die Menschen auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten.
Was können Sie uns über die Verbreitung der Ergebnisse und Erkenntnisse sagen? Was haben Sie und das WZGE vor?
Wir verstehen den Booksprint als Beitrag zu einer notwendigen Debatte um die Auswirkungen und Gestaltung der digitalen Transformation auf unsere Gesellschaft. Dabei müssen die unterschiedlichen Perspektiven der Unternehmen und die ihrer Anspruchsgruppen – also der Kunden, der Lieferanten, der Mitarbeiter, der Politik – transparent gemacht werden, um sie diskutieren zu können. Wir werden dazu – der derzeitigen Situation geschuldet – ein virtuelles Debattenforum anbieten, um ausgewählte Aspekte von CDR zu thematisieren. Dabei wollen wir natürlich auch den Corona-bedingten Herausforderungen gerecht werden und greifen in den ersten beiden Debattenforen Themen auf, die aktuell von großer Relevanz sind. Beginnen werden wir am 8. Juli 2020 mit dem Thema „Datenteilen fürs Gemeinwohl? Digitale Souveränität in Zeiten von Corona“.
Das zweite Debattenforum CDR am 8. September 2020 wird sich um das Thema „Neues Arbeiten – Remote und @Home – Wie digitales Arbeiten zur Routine wird“ drehen.
Zum Abschluss würden wir gern wissen, wie die Bertelsmann Stiftung das Thema CDR nach der Publikation weiter in ihrer Arbeit berücksichtigen will. Werden Sie das Thema auch weiterhin in der Stiftung verankern?
Die Digitalisierung ist einer der Megatrends, den wir als Bertelsmann Stiftung besonders im Blick haben. Für uns steht dabei im Fokus, wie die Digitalisierung so gestaltet werden kann, dass sie den Menschen dient. Digitale Anwendungen bieten einerseits die Chance, mehr Teilhabe für alle zu erreichen. Dieses große Potenzial der Digitalisierung entfaltet sich jedoch nicht von allein. Ein gelungener digitaler Wandel ist kein Selbstläufer. Vielmehr muss er mit seinen Chancen und Risiken aktiv gestaltet werden, um die Möglichkeiten für die Gesellschaft voll auszuschöpfen. Hierfür tragen alle gesellschaftlichen Akteure Verantwortung. Aber insbesondere Unternehmen, die einerseits Treiber der digitalen Transformation sind, zum anderen selbst Getriebene sind und sich dem digitalen Wandel mit ihren Geschäftsmodellen anpassen müssen, spielen eine herausragende Rolle. Wir werden daher weiter an umsetzungsorientierten Konzepten und Instrumenten arbeiten, mit denen Unternehmen dieser Rolle gerecht werden können.
Wir danken Ihnen für dieses Interview!
Birgit Riess ist Direktorin bei der Bertelsmann Stiftung und leitet dort das Programm Unternehmen in der Gesellschaft, das sie seit 2004 aufgebaut hat. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrem Team an den konzeptionellen Grundlagen zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) und an innovativen Formaten, die Unternehmen in gesellschaftliche und politische Beteiligungsprozesse einbinden. Neueste Arbeiten konzentrieren sich auf die Fortschreibung des Verantwortungsbegriffs vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der Zukunft der Arbeit (Corporate Digital Responsibility). Birgit Riess hat Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften studiert und war viele Jahre wissenschaftlich in der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung tätig. Sie ist Mitglied im CSR-Forum des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Jury-Mitglied für die Verleihung des CSR-Preises der Deutschen Bundesregierung.