Parallelen zwischen CDR und CSR existieren nicht nur in der Ähnlichkeit der Begriffe (siehe Informationsbox: Leitlinien von CSR und CDR). Der Zusammenhang, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind häufig auch Gegenstand von Unterhaltungen zu CDR. Die Betrachtung beider Konzepte soll hier zum Ausgangspunkt für eine Reflektion genommen werden. Welche Stolpersteine oder Fehler gab es in der CSR-Entwicklung? Was war rückblickend besonders wichtig? Drei Entwicklungsperspektiven, die als Grundlage für die Analyse besonders hilfreich sind, sollen dafür kurz vorgestellt werden:
- Ausgangssituation der Organisation: Wissen und Erfahrungen zur Umsetzung von Unternehmensethik und gesellschaftlicher Verantwortung waren bei den Anfängen der (strukturierten) CSR, die sich mit der Nachhaltigkeitsdebatte entwickelte, deutlich weniger in den Unternehmen vorhanden als heute. Man baute damals nicht selten auf Umweltmanagement auf und entwickelte die Business Cases weiter. Die Ressourcen waren oftmals gering bzw. sehr heterogen. Auch strukturierte Bildungsinitiativen für den Mittelstand mit Bezug zu CSR, wie z.B. bei den IHKs, wurden erst nach und nach aufgebaut.
- Bezug zum Kerngeschäft: Die Digitalisierung hat die gesamte Wirtschaft erfasst. Damit berührt die CDR oftmals das (zukünftige) Kerngeschäft der Unternehmen, anders als es bei CSR zu Beginn der Fall war. Im Jahr 2000 wurde als erster Schritt von CSR der Global Compact zwischen UN und Unternehmen gestartet, um die Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten. Die multinationalen Konzerne waren als politische Akteure gefordert; die Frage nach dem Business Case stellte sich erst später. Dahingegen sind bei CDR die Bezugspunkte zum Kerngeschäft – auch wenn keine Tech-Produkte oder digitalen Dienstleistungen angeboten werden – beispielsweise durch Internet-Distributionskanäle, Cloud-basierte Informationssysteme oder digitalisierte Prozesse – auch im Mittelstand unmittelbar gegeben.
- Gesellschaftlicher Druck: Nachhaltigkeit ist erst vor Kurzem in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Zu Beginn der CSR war Nachhaltigkeit als normative Idee einer globalen Fairness ein Nischenthema – und blieb es über viele Jahrzehnte. Entsprechend langsam entwickelten sich ökonomische Innovationen wie die des „Stakeholder Value“ (im Vergleich zum Shareholder Value) oder zeigte sich ein nachhaltig-orientiertes Konsumentenverhalten. Oft spürten Unternehmen den gesellschaftlichen Druck erst in echten Krisen, wie z. B. beim KonsumentInnenboykott auf Shell-Tankstellen nach dem Brent-Spar-Unglück 1995. Bei der digitalen Transformation, die etwa 2013 durch Marktreife von „emergent technologies“ ausgelöst wurde, ist die Situation eine völlig andere: keine/r kann sich ihr entziehen. Dabei werden neben den Vereinfachungen und Vorteilen auch die „unerwünschten Nebenwirkungen“ immer spürbarer. Die Summe verschiedener Entwicklungen (Vertrauensverluste z. B. durch Nutzung privater Daten von Social-Media-Portalen oder unwissentliche Kamera-/Mikrofon-Aufnahmen bei Mediengeräten) führte dazu, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft für die sozialen und ökologischen Effekte der Digitalisierung größer ist als in den Anfängen der CSR. VerbraucherInnen sind durch Datenleaks, Cookie-Banner & Co. direkt betroffen. Sie spüren die Auswirkungen konkret und erwarten, dass Unternehmen handeln. Auch das inzwischen ausgeprägtere Verständnis von Unternehmensverantwortung im Allgemeinen ist einer der Gründe für mehr gesellschaftlichen Druck.
CSR = Nachhaltigkeit in Unternehmen?
Welches Verständnis und Zusammenwirken von CSR und Nachhaltigkeit liegt in Unternehmen heute vor? Das Verständnis und auch die strukturierte, organisationale Einbettung variieren stark. Auch wenn CSR im Vergleich zu CDR in der weltweiten Auseinandersetzung schon viele Jahrzehnte „Vorsprung“ hat, ist abseits der rechtlichen Vorgaben wie etwa dem Lieferkettengesetz oder das für Konzerne verpflichtende Nachhaltigkeitsreporting viel Heterogenität erkennbar. Aktuell kann bei einigen Unternehmen eine Veränderung in den Begrifflichkeiten, die übergeordnet für den Themenbereich stehen, beobachtet werden: mehr „Nachhaltigkeit“, weniger „CSR“ steht im Fokus. (Das zeigt sich sogar im Vergleich der Suche dieser beiden Stichworte auf Google Trends). Die Unternehmen öffnen damit das Verständnis, denn – CSR als Konzept wird insgesamt enger gefasst und stärker auf Kommunikation bezogen als Nachhaltigkeit. Damit geht die Beobachtung einher, dass eher „purpose“ und „impact“ im Vordergrund stehen – was auch durch die stärkere Bedeutung sowohl für KonsumentInnen als auch für die Zivilgesellschaft geprägt ist. Nicht zuletzt sind hier die „junge“ Klimabewegung mit FridaysForFuture sowie die Lebensstilveränderungen zu mehr Nachhaltigkeit zu nennen, was sich z. B. in den Trends zum Fahrradfahren und E-Biking, der „Flug-Scham“ oder auch in der fleischärmeren bis hin zur veganen Ernährung zeigt. Parallel dazu wachsen in der Wirtschaft die Anzahl der Social Impact oder „grünen“ Start-ups wie z. B. die Lebensmittelretter „Too Good to Go“, die Nachbarschaft-Community nebenan.de, die Suchmaschine Ecosia, die Bäume pflanzt, oder das Fintech Tomorrow, das mobiles Banking mit Nachhaltigkeit verbindet. Heute steht das gesamte Unternehmen, die Marke sowie der glaubwürdige Umgang mit gesellschaftlichen Fragen mehr denn je im Fokus. Das „B Corp“-Siegel (siehe Infobox) bewertet daher das gesamtgesellschaftliche Engagement von Unternehmen weltweit und legt die Messlatte Jahr um Jahr höher. Es geht um nichts weniger als „Business as a force for good“.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie viel die (vielen) geschaffenen Standards und Reportings im CSR-Bereich bringen. In welchem Maße haben sie der Zielsetzung von CSR geholfen oder inwiefern werden sie „gemacht, weil es getan werden muss“? Von welchen diesen Erfahrungen kann CDR lernen? Hier sind etwa Vermeidung von Purpose Washing und auch die Schaffung von Verbindlichkeit und Transparenz anzuführen – zentrale Mechanismen, die auch für CDR gebraucht werden.
Vorstellung von drei Thesen für ein stärkeres CDR-Movement
Aufgrund der sehr divers beobachteten Herangehensweisen in den Unternehmen und den für viele Unternehmen noch neuen inhaltlichen Herausforderungen stellt sich die Frage: Wie kann mit CDR eine Bewegung ausgelöst werden, die viele Unternehmen (europa- und weltweit) motiviert mit digitaler Verantwortung und Nachhaltigkeit voranzugehen und immer besser zu werden?
These 1: CDR muss wirtschaftlich in der Breite ankommen.
Nicht nur die großen Digitalunternehmen, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind wichtig. Um die digitale Unternehmensverantwortung in allen Unternehmen als Themenfeld auf den Radar zu bringen, sind fehlende Ressourcenausstattung und globale Vernetzungen oft noch Hindernisse. Gerade im Bereich der (technologisch geprägten) Start-ups ist bislang wenig proaktive Auseinandersetzung mit dem Thema CDR vorhanden. Für börsennotierte Unternehmen könnte eine stärkere Berücksichtigung von digitaler Ethik bei ESG-Bewertungen dabei perspektivisch einen Unterschied machen.
Einen weiteren Unterschied kann ein Wertschöpfungs- und Lieferketten-übergreifendes Verständnis von CDR im Business-to-Business (B2B) Bereich machen. Denn so ist nicht nur volumenmäßig ein großer Teil der Volkswirtschaft, sondern auch mehr KMU involviert. Gerade im B2B-Sektor ist der Mittelstand stark vertreten.
Vor diesem Hintergrund sind auch die IHKs, Wirtschaftsförderer und -verbände wichtige Multiplikatoren. Die Inhalte, das Verständnis und die Bedeutung von CDR jetzt zu vermitteln, kann dazu führen, dass es auch für KMU einfacher wird, mögliche Eintrittsbarrieren – die bei globalen Playern anders ausgeprägt sind – zu überwinden.
These 2: CDR braucht zuerst Best Practices, dann Reporting.
Standards sind wichtig und werden gebraucht – wie z. B. der neue IEEE-Standard 7000, ein Ethikstandard für intelligente und autonome Systeme des internationalen Ingenieursverbands. So entsteht Verbindlichkeit durch „Ethik-by-design“ und die Risiken eines Purpose Washing können frühzeitig gemindert werden. Ein potenzielles damit einhergehendes Spannungsfeld – Standards führen zu Management- und Reportingaufwand – darf kein Hindernis werden. Wirksamkeit und Relevanz von CDR-Maßnahmen müssen daher vermittelt und Anknüpfungspunkte, konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und Erfolge kommuniziert werden. Eine erste Entwicklung auf diesem Weg stellt der CDR-Award dar, der 2021 erstmals vom BVDW sowie Bayern Innovativ ausgelobt wird.
Wichtig sind dabei auch die Entwicklung und das Zugänglichmachen von Methoden und Tools. Open-Source-Anwendungen wie der Data Process Modeller oder frei zugängliche Hilfestellungen wie die praktischen Umsetzungsempfehlungen des Ethik-Kodex für datenbasierte Wertschöpfungen können dabei helfen, strukturierte und transparente Prozesse für CDR zu implementieren, auch bei KMU, und das, ohne in ein „Korsett“ oder Überforderung zu verfallen, was durch zu umfangreiche Reportingverpflichtungen entstehen könnte. Zu viel auf einmal umzusetzen, ist unwahrscheinlich. CDR ist in gewisser Weise für viele Unternehmen Innovation – und Innovationen brauchen Zeit.
These 3: Anspruch an die Zukunft: Schrittweise Etablierung von Standards.
Eine rein freiwillige Herangehensweise war in der CSR-Entwicklung nicht zielführend, wie die Studie zum Stand des nachhaltigen Wirtschaftens 2021 zeigt. Verbindlichkeit wird in der CDR daher gebraucht. Das Ziel, durch verbindliche Standards (über gesetzliche Regelungen hinausgehend) und Nachprüfbarkeit Vertrauen von KundInnen, InvestorInnen und Zivilgesellschaft zu gewinnen, ist nur dann unternehmerisch sinnvoll, wenn der Business Case stimmt, also die gewünschten Reputationsgewinne als vertrauenswürdige Marke, Geschäftspartner oder Arbeitgeber erzielt werden.
Der aktuell veröffentlichte Standard IEEE 7000 für ethische Entwicklungsprozesse stellt hier das eine Ende des Spektrums dar: Er regelt einen Teilbereich von CDR; dies jedoch sehr detailliert und mit hoher Ambition an Nachprüfbarkeit bis hin zum Zertifikat. Sein Wirkungskreis sind zunächst die 400.000 IngenieurInnen, TechnikerInnen und IT-EntwicklerInnen in 160 Nationen. Am anderen Ende des Spektrums stehen ganzheitliche Ansätze für CDR, die als Selbstverpflichtungen formuliert sind, wie z. B. der CDR-Kodex der CDR-Initiative des BMJV. Ihre Attraktivität besteht im niederschwelligen Zugang für Unternehmen. Jedoch kann dies „nach hinten losgehen“, wenn das operative Handeln und die Kommunikation auseinanderdriften. Innerhalb dieses skizzierten Spektrums bleiben viele weitere Möglichkeiten. Beispielsweise ist zu beobachten, welche Bedeutung nationalen Ansätze oder auch branchenbezogenen Entwicklungen wie den CDR Building Bloxx des BVDW oder den Sieben Prinzipien des Schweizerischen Ethos Fund zukünftig zukommen wird.
Aufgrund der Erfahrung mit CSR steht fest: Es sind nicht weitere Performance-Indikatoren und Management-Systeme, die UnternehmerInnen, GeschäftsführerInnen und VorständInnen für CDR begeistern. Vielmehr ist es der Wunsch, sich für eine attraktive digitale Zukunft zu engagieren und verantwortungsbewusst zu zeigen. Praktische Stufen könnten den Unternehmen und Organisationen so aufzeigen, wie CDR auch in kleineren Schritten (und mit weniger Ressourcen) umsetzbar ist, um möglichst viele AkteurInnen mitzunehmen. Mosaikteile für die Lösung unterschiedlicher gesellschaftlicher Herausforderungen sollten diskutiert werden. Eine Vereinigung auf Ergebnis-, Prozess- und Organisationsebene wird als wichtig erachtet, um die Verankerung stabil durchführen zu können.
Last but not least: Für eine Bewegung, die die AkteurInnen „für ein größeres Ganzes“ eint und verbindet, braucht es eine identitätsstiftende Marke, die ein solcher modularer Standard bieten könnte. Die Einbettung der Unternehmen in ihre Ökosysteme komplexer Liefer- und Partnerbeziehungen könnte die Chance für ein „Schneeball-System“ bieten. Voraussetzung wäre eine vielsprachige übernationale Ausrichtung.
Dr. Saskia Dörr ist Expertin für digitale Verantwortung von Unternehmen und Gründerin von WiseWay. Sie berät zu Verantwortungsstrategien für digitales Business und Tech-Impact. Ihr „Praxisleitfaden Corporate Digital Responsibility“ erschien 2020 auf Deutsch im Springer-Verlag und 2021 in englischer Sprache. Sie ist als Dozentin an der Leuphana Universität und für die IHK tätig.