Interview mit der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Christine Lambrecht über Corporate Digital Responsibility

Die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz hat uns im Interview Fragen rund um Corporate Digital Responsibility beantwortet, unter anderem zu möglichen regulativen Vorgaben, der CDR-Initiative, aber auch der internationalen Perspektive.

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Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. Berlin, 15.07.2019, Copyright: BMJV/Thomas Koehler/ photothek

Sehr geehrte Frau Lambrecht,

war Ihnen der Begriff „Corporate Digital Responsibility“ schon bekannt als Sie das Ministerium übernommen haben und hatten Sie vorher bereits Berührungspunkte mit der Thematik?

Der Begriff der Corporate Digital Responsibility selbst war mir nicht geläufig –  das, was sich dahinter verbirgt, also letztlich ein freiwilliges unternehmerisches Engagement, das über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgeht – natürlich schon. Der Begriff „Corporate Digital Responsibility“ ist an den für viele eher bekannten Begriff der „Corporate Social Responsibility“ angelehnt.

In den letzten Jahren hat die digitale Transformation in viele unserer zentralen Lebensbereiche Einzug erhalten. Daher ist es nur folgerichtig, das Konzept der CSR, also verantwortungsbewusstes Handeln von Unternehmen gerade im digitalen Kontext weiterzuentwickeln. Wichtig ist mir dabei, dass „Corporate Digital Responsibility“ aus der Perspektive der Verbraucherinnen und Verbraucher entwickelt wird. Denn vorbildhaftes Verhalten seitens der Unternehmerinnen und Unternehmer birgt viel Potenzial, dass Verbraucherinnen und Verbraucher digital gestützten Produkten und Diensten – wieder – vertrauen können.

Die CDR-Initiative wurde in Ihrem Haus 2018 gestartet und von Ihnen aktiv fortgeführt. 

Aus den ursprünglich sechs Gründungsunternehmen sind mittlerweile 15 geworden. Welche Zielsetzung verfolgen Sie mit den Partnern in der Initiative? Nach welchen Kriterien werden diese Partner-Unternehmen ausgewählt?

Dass wir gemeinsam mit so vielen Unternehmen an einem Tisch sitzen, um über unternehmerische Verantwortung in der Digitalisierung zu sprechen, ist ein Erfolg. Dieser Erfolg fußt auf dem Verständnis der Gruppe als Lernpartnerschaft. Das BMJV und die beteiligten Unternehmen diskutieren auf Augenhöhe über den digitalen Wandel, tauschen ihre Erfahrungen aus dem Unternehmensalltag miteinander aus und lernen vom jeweils anderen. Das ist eine wichtige Grundlage, auch Vertrauensgrundlage, für die Arbeit der Gruppe.

Die an dem Prozess beteiligten Unternehmen zeichnet aus, dass sie bereits mit konkreten Beispielen gezeigt haben, wie Digitalisierung und Verantwortung zusammen gedacht werden können.

Was sind aktuelle, konkrete Themen, mit denen sich die Initiative zurzeit beschäftigt und wann werden weitere Ergebnisse vorgestellt? 

Aktuell beschäftigt sich die Initiative mit komplexen Fragen zum Umgang mit Daten, die sowohl für die Unternehmen als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher von großer Relevanz sind. Hierzu gehören etwa Fragen wie: Was passiert mit meinen Daten? Wie ist es um die Datensicherheit bestellt? Wie ist es möglich, Überblick über erteilte Einwilligungen zu behalten? Zudem planen wir eine so genannte „Charta of Digital Responsibility“ zu entwickeln. Diese soll zum Beispiel Mindeststandards, aber auch Beispiele für gute und wünschenswerte Lösungsansätze – also best practices – für unternehmerisches verantwortungsvolles Handeln im Kontext der Digitalisierung enthalten.

Was würden Sie sich wünschen, wie sollten die Unternehmen das Thema CDR aufgreifen?

Es ist wichtig, nicht nur über die unternehmerische Verantwortung für digitale Produkte und Dienste zu sprechen, sondern sie im eigenen Unternehmen auch zur Chefsache zu machen und operativ umzusetzen – CDR also in die eigene unternehmerische DNA aufnehmen. Wichtig ist dabei auch, dass Unternehmen von Anfang an die möglichen Risiken ihrer digital gestützten Angebote identifizieren und in der Ausgestaltung berücksichtigen, wie sie Verbraucherinnen und Verbraucher vor solchen schützen können.

Planen Sie zur Gestaltung einer CDR regulative Vorgaben, z.B. in Form von Gesetzen und Verordnungen? 

CDR wie CSR sind grundsätzlich Konzepte, die auf ein freiwilliges unternehmerisches Engagement oberhalb der von den Unternehmen ohnehin zu beachtenden gesetzlichen Anforderungen abzielen. Freiwilliges Engagement im digitalen Bereich hat den Vorteil, dass es auf den hochdynamischen Prozess der digitalen Transformation schnelle und flexible Antworten liefern kann. Es sind oftmals Vorgänge, die beim ersten Mal vielleicht gar nicht so spektakulär klingen. Nicht jeder, der ein internetfähiges Gerät kauft, möchte auch, dass es sich mit dem Internet verbindet. Einige möchten, dass ein Kühlschrank nur kühlt. Wenn Hersteller von sich aus im datensparsamsten Zustand ausliefern und darüber hinaus gehende Kommunikation und Datenübertragung explizit freigegeben werden muss, werde ich als Verbraucherin oder Verbraucher nicht überrollt, habe aber alle Möglichkeiten. Klar ist aber auch: CDR ist nicht die Alternative zu notwendiger gesetzlicher Regulierung im Bereich der Digitalisierung.

Die Digitalisierung unserer Gesellschaft ist eine globale Entwicklung. Arbeiten Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in Europa und international bei diesem Thema bereits zusammen oder wird das Thema in naher Zukunft auch international aufgegriffen?

Wir haben die CDR-Initiative letztes Frühjahr in Brüssel vorgestellt. Dort ist das Anliegen auf großes Interesse gestoßen. Natürlich ist es wichtig, dass die Unternehmen die Herausforderungen der digitalen Transformation auch über die europäischen Landesgrenzen hinweg angehen.

Welche Rolle sehen Sie für Deutschland in dieser internationalen Debatte des Themas?

Die Digitalisierung beschäftigt mein Haus wie auch die gesamte Bundesregierung. In dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung bereits die Umsetzungsstrategie Digitalisierung, die KI-Strategie und die Datenstrategie auf den Weg gebracht. All diese Prozesse beziehen auch immer die europäische und die internationale Dimension mit ein. Die von BMJV und BMI begleitete Datenethikkommission hat im vergangenen Herbst ihre Empfehlungen für einen zukünftigen ethischen und rechtlichen Ordnungsrahmen für den Umgang mit Daten und algorithmischen Systemen vorgelegt. Auch diese Vorschläge haben vielfach eine europäische Perspektive. Ich freue mich daher, dass die von der EU-Kommission kürzlich vorgelegte europäische Datenstrategie, insbesondere aber das Weißbuch zu Künstlicher Intelligenz auf die Empfehlungen der Datenethikkommission eingeht. Digitale Themen werden daher auch im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 eine wichtige Rolle spielen. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern möchte ich eine wertebasierte und gemeinwohlorientierte Digitalisierung voranbringen.

Wie gehen Sie dabei mit der Herausforderung um, dass ein Großteil der global agierenden und marktprägenden Unternehmen aus anderen Wirtschaftskulturräumen heraus agieren?

Vor einer solchen Herausforderung standen wir bereits bei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Für die Wirksamkeit des neuen europäischen Datenschutzrechts war auch das in der DSGVO enthaltene Marktortprinzip von großer Bedeutung. Nach diesem kommt es allein darauf an, ob der EU-Raum als Marktplatz (Marktort) benutzt wird. Damit müssen sich also auch die nicht-europäischen Unternehmen an den europäischen Datenschutz halten, sofern sie ihre Produkte in der EU anbieten wollen. Die DSGVO ist aus meiner Sicht ein europäisches Erfolgsprodukt. Daran möchten wir anknüpfen. Aktuell erarbeitet die Bundesregierung eine Datenstrategie und auch auf europäischer Ebene hat die Europäische Kommission Ende Februar ihre Datenstrategie vorgestellt.

Das BMJV hat im letzten Jahr eine Befragung beauftragt zum Kenntnisstand der Bürgerinnen und Bürger bzgl. des Themas CDR. Welche Ergebnisse und Erkenntnisse haben sich aus dieser Befragung ergeben?

Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im Herbst 2019 eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zu Wissen und Einstellungen zum Thema CDR in Auftrag gegeben. Dabei ging es im Kern um folgende Fragen: Was wissen die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Digitalisierung und unternehmerische Verantwortung? Wie wichtig sind ihnen einzelne Aspekte der Digitalisierung? Wie gehen sie mit guten und schlechten Erfahrungen im digitalen Bereich um? Die Ergebnisse sind derzeit noch nicht abschließend ausgewertet worden; sie werden aber sicherlich wichtige Impulse für die Arbeit der CDR-Initiative liefern.

Neben der CDR wird regelmäßig auch über die digitale Verantwortung von Bürgerinnen und Bürger, staatlichen und supranationalen Institutionen gesprochen. Gibt es vergleichbare, zukünftige Initiativen in diesen Bereichen, z.B. eine Governmental Digital Responsibility?

Die Bundesregierung hat sich in ihren Eckpunkten zu einer Datenstrategie dafür ausgesprochen, selbst zum Vorreiter einer verstärkten verantwortungsvollen Datennutzung und Datenbereitstellung zu werden. So soll beispielsweise die Nutzung von staatlicher Open Data verbessert und die Potenziale der Datennutzung für eine effizientere und bürgerfreundlichere Aufgabenerfüllung staatlicher Einrichtungen genutzt werden. Gleichzeitig soll dabei aber auch der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft ein barrierefreier Zugang zu Daten ermöglicht werden. In der Bundesverwaltung gibt es viele Datensätze. Sie werden über das Portal GovData angeboten, das aber natürlich keine personenbezogenen Daten veröffentlicht. Zum Beispiel hat GovData bei dem Hackathon #WirVsVirus Ende März 2020 die Teams beim Auffinden und der Zurverfügungstellung von Daten unterstützt.

Als Verbraucherschutzministerin vertreten Sie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Wie gehen Sie vor diesem Hintergrund mit dem Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Verbraucherinteressen und den Interessen deutscher Unternehmen um, die sich im globalen Wettbewerb durchsetzen wollen/müssen?

In den Eckpunkten zur Datenstrategie der Bundesregierung haben wir deutlich gemacht, dass es darum geht, das große Innovationspotenzial von Daten für sich stetig weiterentwickelnde Technologien zu nutzen und zugleich die Wahrung grundlegender Werte, Rechte und Freiheiten unserer Gesellschaft sicherstellen. Wir wollen datengestützte Innovationen und die hohen europäischen Datenschutzstandards zusammen denken.

Einige Bundesländer haben das Thema CDR als Querschnittsthema verankert. Stehen Sie auf Bundesebene mit anderen Häusern (z. B. BMWi) zum Thema CDR im Austausch? Sehen Sie das Thema in einem zukünftigen Bundes-Digitalministerium? 

Natürlich stehen wir zum Thema CDR auch mit anderen Häusern im konstruktiven Austausch. CDR ist im BMJV, wo dieses Thema ja initiiert wurde und zusammen mit verschiedenen Unternehmen innovativ weiterentwickelt wird, sehr gut aufgehoben.

Wenn wir uns gedanklich in das Jahr 2025 versetzen, wie hat sich die Corporate Digital Responsibility – in der besten aller Welten – national und international entwickelt?

Ein verantwortungsbewusster Umgang im digitalen Kontext – sei es mit Menschen, Daten, Unternehmenszielen und -entwicklungen, Dienstleistungen und Produkten – muss eine Selbstverständlichkeit für alle Unternehmen werden. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Ich hoffe, dass sich bis zum Jahr 2025 viele weitere Unternehmen und Länder mit dem Thema Corporate Digital Responsibility beschäftigen und sich darüber Gedanken machen, wie die digitale Transformation über das gesetzlich Vorgeschriebene menschen- und werteorientiert gestaltet werden kann.

 Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch. 

CDR Admin

Expert für digitale Verantwortung von Corporate Digital Responsibility