Sperrung von Trumps Twitter Account – Wie viel CDR steckt dahinter?

Anhand des Beispiels der Sperrung von Trumps Twitter Account durch die Plattform zeigen Moritz Appels und Laura Marie Edinger-Schons vom Lehrstuhl für Sustainable Business an der Universität Mannheim in ihrem Gastbeitrag auf, wie Deplatforming aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachtet werden kann. Die Triebkräfte hinter dem aktiven Einbringen bzw. Eingreifen in gesellschaftlichen Diskurs nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. Die AutorInnen ordnen das Geschehen vor dem Hintergrund der Stakeholder-Perspektive, der Agency-Theorie und unternehmensinternen Erwartungshaltungen ein. Damit spannen Moritz Appels und Laura Marie Edinger-Schons den Rahmen für die Mehrdimensionalität auf, der hinter (vermeintlich) CDR-bezogenen Aktivitäten stehen kann.

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Das Jahr 2021 hat kaum begonnen und schon prangen Schlagzeilen in Zeitungen und Nachrichten, die zuvor unvorstellbar waren: Ein wütender Mob stürmt das Kapitol in Washington! Die Ereignisse rund um den 6. Januar 2021 sind nicht nur aufwirbelnd, weil sie in unvergleichbarer Art die Folgen demagogischer Politik und Verschwörungsmythen aufzeigen, sondern auch wegen der Reaktionen der sozialen Medien und in der Tech-Branche und der Diskussion um digitale Verantwortung, die diese befeuert. Viele öffentliche Persönlichkeiten kappten nach den Vorkommnissen ihre Verbindung zu Donald Trump und Social Media Plattformen, angefangen mit Twitter, sperrten seine Accounts sowie die vieler seiner Anhänger. Diese eigenmächtigen Entscheidungen der Plattformbetreiber haben die Diskussion um die soziale Verantwortung solcher Plattformen, die bereits durch Themen wie z.B. mangelnden Datenschutz hoch auf der Agenda stand, noch stärker aufgeheizt. Welche Regeln sollen das Verhalten der Plattformbetreiber leiten? Und wieviel Regulierung ist nötig? Um sich mit diesen Fragen tiefergreifend auseinanderzusetzen ist es sinnvoll, sich diese neuen Entwicklungen genauer anzuschauen.

Die Entscheidung von Twitter, Donald Trumps Account zu sperren, kam für einige überraschend, für andere war sie überfällig. Twitter und Co. hatten in der Vergangenheit vehement argumentiert, sie böten lediglich eine Plattform, die von NutzerInnen gestaltet werde und deren Inhalte somit auch von NutzerInnen verantwortet werden müssten, und sich damit aus der Verantwortung gezogen. Sehr unterschiedlich waren nun die öffentlichen Reaktionen zu diesem neuartigen Schritt. Robert Reich, Professor für öffentliche Politik an der Berkeley University, etwa begrüßte den Kurswechsel. Endlich nähmen die sozialen Medien ihre mediale und somit journalistische Verantwortung als Zwischenhändler von politischer Stimmungsmache und faktischer Berichterstattung wahr. Andere, unter ihnen die Bundesregierung, sehen in dem Schritt eher eine Abkehr von digitaler Verantwortung der Social Media Giganten. So argumentierte Steffen Seibert, Regierungssprecher der Bundesregierung, „das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist von elementarer Bedeutung“ und dürfe nur von Gesetzesgebern, nicht jedoch durch die sozialen Medien, reguliert werden. Diese Ansicht vertrat auch der Generalsekretär der UN, Antonio Guterres. Er forderte globale Regeln, um mächtige Social Media Unternehmen wie Twitter und Facebook zu regulieren und sagte, er glaube nicht, dass es ein Unternehmen sein sollte, das die Macht hat zu entscheiden, ob Präsident Donald Trumps Twitter-Konto geschlossen werden sollte. Dazu erklärte er: „Ich glaube nicht, dass wir in einer Welt leben können, in der zu viel Macht an eine reduzierte Anzahl von Unternehmen gegeben wird“. Wieder andere, unter ihnen viele republikanische SenatorInnen, argumentierten, dass die Entscheidung weder Ausdruck eines Kurswechsels der Unternehmen hin zu mehr noch zu weniger digitaler Verantwortung sei. Sie würden lediglich darauf reagieren, dass in Kürze ein anderer politischer Wind weht. So sei die Sperrung von Trumps Account der Versuch einem Eingriff der demokratischen Partei zuvorzukommen – man rette die eigene Haut.

Um den Überblick über die verschiedenen Perspektiven zu behalten lohnt der Blick in die wissenschaftliche Literatur zu unternehmerischem Aktivismus. Diese versucht zu erklären, weshalb viele unternehmerische Akteure in den letzten Jahren die sicheren Gewässer ihrer rein wirtschaftlichen Rolle verlassen und aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen. Insbesondere US-amerikanische CEOs äußern sich zunehmend zu kontroversen Themen wie Waffenregulierung, Immigrationspolitik, oder Abtreibungsgesetzen und tun dies trotz der damit einhergehenden Risiken. CEOs, die sich derartig engagieren und vergraulen damit mitunter politisch andersdenkende KundInnen – so sackte auch Twitters Aktienkurs nach der Sperrung Trumps zunächst ein.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind die Reaktionen der Unternehmen ein zuweilen mutiges politisches Statement – gegen Demagogie und Verschwörungsmythen und für größere digitale Verantwortung – jedoch nur bedingt wirtschaftlich zu rechtfertigen. Es könnte sich also um ein sogenanntes Agency-Problem handeln, in dem die CEOs ihre eigenen Präferenzen über jene der Aktionäre stellen. Es ist kein Geheimnis, dass das Silicon Valley politisch linksgeprägt ist und vermutlich viele der dortigen Firmenchefs die rechte Meinungsmache der letzten Jahre als Privatperson ablehnen. Aber wessen Präferenzen spiegeln diese politischen Statements und Handlungen wider? Nalick und Kollegen (2016) argumentieren, dass Unternehmen, die sich sozio-politisch engagieren, dies aus drei unterschiedlichen Motivlagen heraus (oder aus einer Mischung dieser) tun könnten. Erstens könnte ein solches Statement zu einem kontroversen sozio-politischen Thema eine Antizipation künftiger Erwartungen der Stakeholder darstellen. Zweitens könnte es durch die Wahrnehmung aktueller Stakeholderpräferenzen getrieben sein. Drittens könnte ein solches Statement aber auch einfach die idiosynkratische ideologische Präferenz des CEOs widerspiegeln. So könnten Jack Dorsey, CEO von Twitter, und seine KollegInnen den Sturm auf das Kapitol als nötige Rechtfertigung gesehen haben, um aus persönlichen Wertvorstellungen und Motiven unternehmerische Konsequenzen zu ziehen.

Der Vorwurf, soziale Vedien wOrden ihrer digitalen Verantwortung nicht gerecht and erwirtschafteten ihr Vermagen durch die Proliferation von Hass, hatte schon lange vor dem 6. Januar 2021 Bestand.

Eine berechtigte Frage ist dann jedoch, weshalb dieser Schritt erst jetzt kommt. Der Vorwurf, soziale Medien würden ihrer digitalen Verantwortung nicht gerecht und erwirtschafteten ihr Vermögen durch die Proliferation von Hass, hatte schon lange vor dem 6. Januar 2021 Bestand – und dies auch explizit in Bezug auf Trumps Äußerungen. Auch zeigten sich die CEOs der digitalen Szene deutlich weniger zurückhaltend als sie beispielsweise Trumps Einreiseverbot aus muslimischen Ländern oder den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen kritisierten – allerdings ging es damals auch nicht um eine Beschränkung des eigenen Produkts. Ist es möglich, dass die CEOs nun Schritte ergriffen, weil sie dies zumindest mittel- und langfristig für wirtschaftlich sinnvoll oder zumindest weniger riskant erachteten als zuvor? Antizipierten sie vielleicht sich ändernde soziale Normen? Oder nahmen sie bereits Erwartungen durch ihre Stakeholder wahr, die sie zum Handeln drängen?

Ein Hinweis hierauf ist der wachsende Druck aus den eigenen Reihen der Social Media Unternehmen. Während die Accountsperrung regelmäßig den CEOs von Twitter und Co. zugeschrieben wird, folgten sie, zumindest zeitlich gesehen, auf Petitionen und Proteste der eigenen MitarbeiterInnen. Diese forderten bereits zuvor eine permanente Sperrung von Trumps Accounts. Im hauseigenen Forum Facebooks etwa fragte ein Mitarbeiter unmittelbar nach dem 6. Januar 2021 „welche Ausrede hatten wir dieses Mal, Trump nicht zu sperren?“  Solch eine wachsende Unzufriedenheit der Belegschaft ist dem Firmenerfolg selten zuträglich. Die Sperrung könnte somit eine Reaktion auf diesen Druck gewesen sein, anstatt der politischen Ideologie der CEOs zu entspringen.

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Eine ähnliche Schlussfolgerung bietet die Perspektive, dass mit dem politischen Machtwechsel an die Demokraten auch eine Reorientierung der sozialen Medien einhergeht. Zum einen könnte die Sperrung marktwirtschaftliche Regulierung vorbeugen, denn unter den Demokraten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass den sozialen Medien eine stärkere Regulierung bevorsteht. So argumentierte Reuters-Präsident Mike Friedenberg, dass eine stärkere Regulierung der sozialen Medien unausweichlich sei – die Frage sei allerdings ob durch die Branche selbst oder die Politik. Indem die sozialen Medien ihre selbständige digitale Verantwortung signalisieren, könnten sie wohlmöglich künftige Fremdregulierung vorbeugen. Zum anderen ist Trump, mehr als jeder republikanische Präsident zuvor, ein Dorn im Auge der Demokraten – man beachte die stattliche Anzahl von gleich zwei Amtsenthebungsverfahren. Demokratische PolitikerInnen begrüßten die Sperrung der Accounts, welche zuvor als primäres Sprachrohr ihres erbitterten Rivalen dienten. Als solches könnte die Sperrung auch einer allgemein gesteigerten Sympathie gegenüber den Unternehmen dienen, die Trump den Zugang zu seiner Gefolgschaft erschwerten oder ganz versagten. Diese positiven Beziehungen könnten als Sozialkapital nützlich sein, wenn in Zukunft Gesetze entschieden werden, welche die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen betreffen.

Wie diese möglichen Erklärungen verdeutlichen, sind menschliche Entscheidungen – und dies schließt jene von CEOs ein – selten eindimensional. Auch wenn das Verständnis der Motive hinter der Sperrung Trumps wichtig zur gesellschaftlichen Einordnung von sozialen Medien und künftigen regulatorischen Schritten ist, gab es aus der Sicht der CEOs mitunter gar kein ethisches Dilemma zwischen den obigen Perspektiven, sprich zwischen ihren digitalen und wirtschaftlichen Verantwortungen. Die Schlussfolgerung ihrer politischen Ansicht und dem persönlichen Wunsch Demagogie und Verschwörungsideologen entgegenzutreten deckt sich mit jener, die sich aus ihrer Verantwortung gegenüber den Aktionären und MitarbeiterInnen ergibt. Insofern könnte es sich bei der Sperrung von Trumps Accounts um eine jener seltenen Win-Win-Win-Situationen gehandelt haben, in denen die Wahrnehmung der digitalen Verantwortung eines Unternehmens im besten Interesse der Gesellschaft, des Unternehmens, und sogar der persönlichen Präferenzen des CEOs ist.

Trotzdem verdeutlicht der Fall wie selten zuvor die immense Macht der Betreiber sozialer Plattformen und auch die politische Verantwortung, die sie tragen, da es an Regulation noch mangelt. Mit ihren Entscheidungen schaffen sie Präzedenzfälle und Fakten. Und als Akteure der Privatwirtschaft, die in der Vergangenheit häufig der „don’t mix business with politics“ Logik gefolgt sind, stehen sie plötzlich im Zentrum gesellschaftspolitischer Diskurse. Problematisch an dieser Entwicklung ist aus gesellschaftlicher Sicht, dass die CEOs, die hier politische Entscheidungen treffen, nicht demokratisch gewählt wurden und es damit ein „Legitimationsdefizit“ zu bemängeln gibt. Auf diese Sachlage haben in den letzten Jahren bereits einige Wissenschaftler*innen hingewiesen, allen voran Scherer, Baumann-Pauly, und Schneider (2013). Die AutorInnen argumentieren, dass mit der gestiegenen Macht von privatwirtschaftlichen Unternehmen eine Situation einhergeht, in der sie politischen Einfluss haben, ohne die dafür notwendige demokratische Legitimation zu besitzen. Aber die AutorInnen haben auch einen pragmatischen Vorschlag, wie das Problem zu lösen sei – und zwar durch die Einführung demokratischerer Entscheidungsstrukturen in Unternehmen. Wäre ein CEO zum Beispiel (in welcher genauen Form auch immer) gewählt, so würde dies die Legitimität seiner oder ihrer politischen Einflussnahme zumindest ein Stück weit stärken.

Der Fall Twitter-Trump verdeutlicht daher, wie wichtig es in den nächsten Jahren sein wird, nicht nur klare Regeln für digitale Verantwortung zu formulieren, sondern auch das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft neu zu definieren und über die Macht und Machtstrukturen der Großkonzerne zu reflektieren.

Moritz Appels promoviert seit 2019 am Lehrstuhl für Nachhaltiges Wirtschaften. In seiner Forschung beschäftigt er sich primär mit Aktivismus von Unternehmen und CEOs zu Themen wie Abtreibung, Waffenrechten oder Immigration. Hierbei untersucht er sowohl die Ursprünge dieses Phänomens als auch die Auswirkungen auf Unternehmen und die Gesellschaft. Seine Forschung wurde mit mehreren Fellowships und zuletzt einem Best Paper Award im Zuge der European Academy of Management Conference ausgezeichnet.


Laura Marie Edinger-Schons ist Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf die Frage, wie Organisationen (von gewinnorientiert bis gemeinnützig) zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung beitragen können. Spezifische Themen, für die sie sich interessiert, sind Mitarbeiterengagement beim Thema Nachhaltigkeit, Social Entre/Intrapreneurship, digitale soziale Innovation, Unternehmensdemokratie und Neue Arbeit. Ihre Arbeit wurde in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, darunter Journal of Marketing, Journal of Consumer Psychology, Journal of the Academy of Marketing Science und Journal of Business Ethics.

Sie erhielt den Overall Best Paper Award bei der AMA Winter 2014, wurde in die Top Ten Junior Academics 2015 (von Zeit und Wissenschaftlern) gewählt und erhielt den Deutschen Wissenschaftspreis 2016 für die beste Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Für ihre Lehrtätigkeit erhielt sie den AACSB Innovations that Inspire Award 2017. Für ihre Habilitationsschrift erhielt sie den Wolfgang-Ritter-Preis 2017, den Roman-Herzog-Forschungspreis 2018 sowie den Max-Weber-Preis für Wirtschaftsethik 2018. Im Jahr 2019 wurde sie von der Zeitschrift Capital in die Top 40 under 40 gewählt.


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Moritz Appels

Moritz Appels is a doctoral candidate at the Chair of Sustainable Business. He holds a Master of Science in Business Research from the University of Mannheim. His research focuses on the interplay of political and economic actors. Particularly, he investigates what drives corporate executives to pursue social change within and outside of their organizations and how this affects various stakeholder groups in their own political and economic behaviors.

Laura Marie Edinger-Schons

Laura Marie Edinger-Schons ist Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf die Frage, wie Organisationen (von gewinnorientiert bis gemeinnützig) zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung beitragen können. Spezifische Themen, für die sie sich interessiert, sind Mitarbeiterengagement beim Thema Nachhaltigkeit, Social Entre/Intrapreneurship, digitale soziale Innovation, Unternehmensdemokratie und Neue Arbeit. Ihre Arbeit wurde in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, darunter Journal of Marketing, Journal of Consumer Psychology, Journal of the Academy of Marketing Science und Journal of Business Ethics.